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Meine Situation ist die menschliche Situation

Jetzt könnte man sagen: "Natürlich, was denn sonst? Soll es etwa die hundliche, oder pferdliche, oder affliche Situation sein?"


Zum einen ist es offenkundig selbstverständlich, zum anderen aber bei näherer Betrachtung doch nicht ganz so einfach, denn wir haben es hier mit einer Menge von Fehlprogrammierungen zu tun, die dafür sorgen, daß dem Menschen sein Mensch-Sein im Erwachsenenalter ordentlich abhanden gekommen ist.


So wird in christlichen, sowie östlichen Kulturkreisen in junge Menschen geprügelt, eine übermenschliche Situation als Ideal hinzustellen. Hier dienen Jesus, Buddha, Mohammed oder Krishna als Figuren mit gottgleicher Position, die zeigen sollen, was einem Menschen möglich ist und wenn jemand das heute so nicht schafft, dann ist er eben eine gescheiterte Entwicklung und einen Fall für den Mülleimer der Geschichte.


So ist ein Mensch, der Ängste hat, der weniger Kompetenz auf sich vereinigt, sich einsam, beschämt, schwach und ohne Elan fühlt, also eben natürlichen Stimmungsschwankungen unterliegt, sofort in der Situation sich unwürdig und schlecht zu fühlen, denn er wird ja nicht dem Mythos des Starken, Erleuchteten, Strahlenden, die Gesetze der Physik aushebelnden Übermenschen gerecht. Und wer sich nicht anstrengt oder gut benimmt, diesem Ideal zumindest nicht hinterherläuft, was soll der dann sagen, wenn sein Tag der Abrechnung kommt, nicht? Also müht sich so ein Mensch ab.


Schließlich soll ja dieser arme Jesus da - hier in Bayern sehr oft an Wegkreuzen an Landstraßen und Feldwegen - nicht umsonst hängen, oder? Er ist ja für mich, für uns alle gestorben, hat da wie ein Schwein gelitten, also wer bin ich schon, mir da was Besseres herausnehmen zu wollen, nicht?


So werden aus freien, unbekümmerten, frischen, unbelasteten, jungen Menschen verkrüppelte Wesen, die noch nicht einmal das Urmenschliche mehr verkörpern, wie man heute sieht, ja noch nicht einmal mehr irgendeine Art von Erotik leben, generell kaum noch ein gutes Lebensgefühl und Vitalität vorhanden ist. Als billigen Ersatz hierfür gibt es dann: Drogen, Autofahren, Konsum und Computerspiele.

Das ist sicherlich keine menschliche Situation. Wobei es das Spiel noch am ehesten ist:


Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.

- Friedrich Schiller in Über die ästhetische Erziehung des Menschen


Hier hat ein deutscher Klassiker doch eine sehr wahre Sache herausgefunden (Schiller war im Gegensatz zu Goethe doch um einiges weniger obrigkeitstreu). Ein Spiel ist nur da Spiel, wo nicht Zwänge und Pflichten gelten. Wo ich experimentieren kann, auch sogenannte Fehler erlaubt sind, d. h. unerwartete, vielleicht sogar unerwünschte Ausgänge möglich sind.


Wenn ich so anschaue, ob mein Leben erfolgreich oder nicht ist, so geht es deshalb noch gar nicht mal um etwas, was ich "zu erreichen habe", also ob ich einen Idealzustand habe, den viele als erstrebenswert erachten, sondern wenn ich jeden Augenblick so angehe, als wäre es dieses Spiel oder Abenteuer kann es gar nicht fehlschlagen, weil dieser Moment dann automatisch mit Interessantheit einhergeht, und dieser Moment letztlich alles ist, was ich habe. Ich habe nicht "mein Leben", was so und so viele Jahre läuft, sondern nur die Gegenwart.


Es gibt sicher nichts anderes als den Augenblick. Das ganze Leben eines Menschen ist eine Aneinanderreihung von Augenblicken. Wenn man den gegenwärtigen Moment vollständig versteht, gibt es nichts mehr zu tun und nichts anderes zu verfolgen.

- Aus dem Hagakure


Das Spiel ist vor allem deshalb interessant, weil es ungewisse Ausgänge hat. Ich weiß nicht, was kommen wird, ich weiß nicht, wie ich mich verhalten werde. Keiner kann sagen, wie der nächste Augenblick aussehen mag. Dieses Gefühl von Möglichkeit, von Chancen ist genau auch das, was dem Leben letztlich Qualität verleiht.


Den Verstand verunsichert das Leben aber immens, denn der Verstand besteht aus abgespeicherten Erfahrungen, ist also quasi die Vergangenheit in der Gegenwart, welche nun nur noch sich selber zu reproduzieren versucht. Ähnlich wie die verkrusteten Strukturen, die nur noch sich selber erhalten wollen, hat auch der Verstand selber kein Interesse an Neuem, an Dingen, die wirklich Spaß machen, sondern nur noch daran, sich selber zu erhalten. Man kann auch sagen: Die äußeren Strukturen, wie der Staat, sind nur Manifestation dieser inneren Disposition der Menschen, die sich bereits selber an ihre Vergangenheit ketten und mit diesem schweren Gewicht ihre Lebenszeit fristen.


Ein alter Mann hat die Welt nicht ausgeschöpft. Er hat nur ausgeschöpft, was die Leute tun. Aber in seiner törichten Verblendung glaubt er, die Welt habe keine Wunder mehr für ihn. Welch erbärmlichen Preis zahlen wir für unsere Schilde!

- Don Juan Matus


Das Pardoxe ist, daß wir im Hier und Jetzt eigentlich immer frei sind, uns auf völlig ungewohnte Art und Weise zu verhalten. Wir müssen nicht unsere alte Person immer wieder aufs Neue aufbauen und schützen. Der, wer wir waren ist für immer Geschichte! Das kann man sich nicht oft genug klarmachen. Wie jeden Tag anderes Wasser am Fluß ist, so sind auch wir jeden Tag völlig andere Wesen. Gehen wir an den Fluß, so geben wir auch dem Fluß den Namen "Isar" oder "Donau", doch ist dieser Begriff nur ein Etikett, ein Name für etwas, was sich jederzeit wandelt und nie gleich ist. Da kommt immer frisches Wasser nach! Da ist nicht "der Fluß", wie ein statischer Block. Ja selbst ein fetter Granitblock verändert sich, zwar nicht so klar sichtbar wie ein Fluß, aber dennoch ist er durch Luftreibung über mehrere Jahre immer in einer Veränderung begriffen. Und natürlich passiert das auch mit uns Menschen: Unsere Körper können sich in wenigen Monaten und Jahren erheblich verändern, unsere Zellen erneuern sich, wir altern, verlieren Haare, werden muskulöser, hagerer, größer, kleiner, es ist ständig am Arbeiten. Auch unser innerer Dialog ist ständig am Sich-Wandeln, wobei bei dem die Tendenz ist, wenn keine Bewußtheit mit ins Spiel kommt, immergleiche Schleifen und in einen eingegebene Programme eben aus der Vergangenheit zu wiederholen und zu wiederholen, bis der Körper eben stirbt. Und ist das nicht einfach nur traurig? Es ist nämlich völlig widernatürlich und eine absolut unnötige Quälerei und Selbstschädigung. Die Vergangenheit zählt heute nämlich nichts. Das einzige, was aus der Vergangenheit mitgenommen werden kann, sind wahrheitsgetreue Beschreibungen über Sachverhalte des Moments, oder praktische Fähigkeiten, die sich als wertvoll im Hier und Jetzt erwiesen haben. Mehr nicht. Die Vergangenheit sagt uns nicht, wer wir sind, wie wir leben sollen, welche Gefühle wir haben sollen, auf was ich Appetit habe und was mir in einem Moment als wichtig erscheint.


Der Verstand meint aber einem da fertige Konzepte und Lehren liefern zu können, die aus verunsichernden Lebenssphäre in scheinbar sicher wirkende Lehrgebäude führen. Doch das Einzige was er macht, ist, einen in so ein Gebäude endgültig einzukerkern, so daß du dein Leben nie wieder mehr das Sonnenlicht siehst, nur noch in Abstraktionen, Vergleichen und Meinungen völlig verstrickt bist und von selber auch nicht mehr herauskommst. Jemand muß die Tür von außen wieder aufstoßen und zeigen, daß es da draußen noch eine andere Welt gibt, wo du erst wieder dein Mensch-Sein entdecken kannst.


Nicht der Gedanke an das, was dir bevorsteht, sondern die Vorstellung, daß du ein leben lang tun mußt, was du immer getan hast, sollte dich schauern machen.

- Don Juan Matus


Das, was ich hier beschrieben habe führt zur einzig möglichen Konsequenz des Krieger-Daseins, denn nur ein Krieger kann wieder zurück zu diesem ursprünglichen Mensch-Sein zurückkehren, denn nur ein Krieger hat die Energie und Entschlossenheit, eine 180°-Wendung weg von den kulturellen Verstandessuggestionen hin zu seiner individuellen Bewußtheit zu vollziehen. Ohne diesen unbändigen Wunsch und ein ungemein starkes Interesse, wieder zurück zu sich zu finden, wieder Bekanntschaft mit sich machen zu wollen, geht gar nichts. Alleine durch Lesen von Aussagen von anderen geht das sowieso nicht.


Es ist fast wie ein inneres Feuer, das anfangen muß zu brennen, wenn klar wird, in welch schrecklicher Situation ein Mensch ist, der z. B. vom Christentum oder auch vom Islam, Buddhismus völlig aus seiner Mitte gezogen wurde und nur noch Abziehbildchen seiner selbst ist. Ich weiß nicht, ob ein Mensch diese Falschheit schon ziemlich gründlich durchexerziert haben muß, daß sie ihm bis zu Hals raushängt. Meine Erfahrung ist jedenfalls, daß ich sie satt habe, und mir keine Alternative zur Kriegerschaft bekannt ist, denn nur diese Haltung bringt die nötige Intensität mit, die es braucht, um in einer Art inneren Alchemie dem ganzen fremden Bullshit, der in einen gelegt wurde, ordentlich den Garaus zu machen.

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