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Massive Probleme mit Willensbekundungen

Heute habe ich meinen Kollegen darauf angesprochen, daß es mich stört, wenn er während der Arbeit sein Handy anmacht um parallel Musik zu hören. Ich empfahl ihm vielleicht Kopfhörer mitzunehmen, wenn er wirklich hören will. Auch während der Autofahrt lassen wir seit vorgestern auf meine Bitte hin konsequent die Beschallung aus. Das wäre mir wichtig.


Mein Willenausdruck klingt natürlich erstmal wie Spaßverderbnis, wie ein Entziehen der Ablenkung, die mein Kollege zu brauchen scheint. Doch diese Rücksichtnahmen sind nichts als Puffer, nämlich vor dem Stehen zu meinem eigenen Interesse. Denn eines zeigt sich durchaus: Es ist ohne Musik deutlich angenehmer. Die einfachen Umweltgeräusche, ohne künstliche, menschengemachte Töne, sind um ein vielfaches mehr, als ich brauche und auch vertrage. Alles, was zu viel und unnötig ist, stößt mich immer mehr ab.


Klar, meinem Kollegen wird das wohl nicht gefallen haben, auch wenn er auf meine Bitte eingegangen ist, aber ich muß lernen, daß es einfach nicht mein Bier ist, was in anderen vorgeht. Das wurde mir von Kindesbeinen an - genau wie die Interessenvertretung - komplett abtrainiert und zum Tabu erklärt. Da ging es nämlich ausschließlich darum, wie sich andere fühlten, während ich da zuzuliefern hatte, ohne selber auch nur einen Millimeter mit meinem Empfinden eine Berechtigung zu haben. Deswegen baut sich bei mir auch eine Wahnsinnsangst bei Dingen auf, die für viele andere wie eine Selbstverständlichkeit wirken. Denn es ist ja an sich keine große Sache das eigene Empfinden und Wollen so auszudrücken, wie es nun mal ist, oder? Das hatte ich z. B. auch damals, als ich meinen Vermieter darauf angesprochen habe, daß ich nicht will, daß er einfach in die Wohnung geht, wenn ich nicht da bin. Für jeden anderen Menschen eine vollkommen nachvollziehbare Sache, die gar keiner große Überlegung bedarf. Für mich jedoch etwas, was erst langwierige Überlegungen im voraus erzeugt, ob ich es überhaupt wert bin, derlei Ansprüche anzumelden. Schon verrückt.


Ich muß für solche einfachen Bekundungen immer wie durch ein Nadelöhr durch, d. h. da muß erst ein gewisser Druck entstehen, bis ich endlich in das Gefühl tauche und damit automatisch auch zeige. Dabei und danach breitet sich Kraft, Genugtuung und Zufriedenheit aus. Das ist jedoch kein Konzept, daß ich mir einmal merken kann, und dann verstanden habe, sondern vor jeder neuen Unstimmigkeit in einer Situation weiß ich wieder nicht, was passieren wird. Immer wieder neu ist diese Schwelle des alten Ich zu verlassen, mitsamt der Angst vor dem Neuen, das da wartet. Es gibt keine andere Abkürzung, als diesen Prozeß immer wieder neu zu erleben und zu studieren.


Der Kernpunkt ist hier die Selbstwertschätzung. Bei vielen Leuten merke ich, daß die damit kein Problem haben. Ihr Wert wurde durch die Umwelt dauernd bestätigt, ja geradezu hochgezüchtet und gemästet. Da sind nicht mal ein Hauch von Zweifeln oder Selbstinfragestellungen vorhanden. Das sind dann die sogenannten Erfolgsleute: Sie nehmen sich, was sie wollen, setzen sich auch gegen andere durch, kennen keinen inneren Zensor oder Kritiker. Auch im Geschlechterleben drängen sie andere Aspiranten schnell zur Seite.


Ein konkreter Fall bei mir dreht sich auch um Interessenvertretung: B., mein zweiter Chef, hat neben der Firma in der ich angestellt bin, auch noch eine zweite GmbH, die neben unserer ihr Lager hat, und in dem er Pakete mit kleinen Gartenutensilien lagert, die er über Amazon vertreibt. Alle paar Wochen kommt eine Großbestellung von ihm an, die per LKW abgeladen gehört, hin und wieder braucht er da Hilfe, und da ich und meine Kollegen ja eh am Betriebslager sind, spannt er uns gerne ein, ihm bei seinen Paketschleppereien zu helfen.


B. ist ein Instinktmensch. Und er kennt keine Skrupel, andere Menschen zu seinem eigenem Vorteil zu nutzen. Im grunde ist er praktisch das exakte Gegenteil zu mir. Und im Geschäftsleben, da ist das sicher auch legitim und berechtigt. Die Frage ist jedoch: Wieso mache ich da mit? Was habe ich davon, wenn ich ihm bei Firma B helfe? Kann ich mir davon was kaufen? Von den popligen Überstunden sicher nichts. Und einem Danke schon mal gleich gar nichts. Mache ich das, weil B. so ein netter, guter Kumpel ist, daß ich ihm da helfe? Fragen über Fragen...


In meinem Interesse ist das ganz sicher nicht. B. ist ein ziemlich gerissener Geschäftsmann, und das unterschätze ich durch seine meist sehr jungenhafte Ausstrahlung doch sehr. Er weiß ganz genau und ist da sehr hellsichtig, wie er die Hilfsbereitschaft und Gutmütigkeit von Menschen für sich ausnutzen und zu seinem Profit nutzen kann. "Ja komm, da mal schnell helfen, ist doch kein Problem." Wie kann man da nur nein sagen, wenn jemand so freundlich fragt, nicht? Moralisch ist das zwar nicht, aber die Dummen sind am Ende nun mal die, die das mit sich machen lassen, weil sie meinen der Markt und das Geschäftsleben müßten moralisch sein. Genau wie im Falschgeldsystem werden die Menschen um die Früchte ihrer Arbeit Tag für Tag beschissen, weil sie nicht mal ansatzweise ahnen, wie intelligent und perfide das Konstrukt ist, mit dem sie es hier zu tun haben. In ihrer Blauäugigkeit und ihrem Glaube an das Gute im Menschen werden sie von einer Intelligenz übers Ohr gehauen, die einen Scheiß auf Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit und Gemeinschaftlichkeit gibt. Ein System, das eben nur seinen eigenen Profit sieht, und alles instrumentalisiert, was unter den Nagel gerissen werden kann.


Ich möchte B. natürlich nicht mit den Hintermännern des Falschgeldsystem vergleichen, das wäre sicher überzogen, denn so intelligent ist er auch wieder nicht, aber es ist interessant den Mechanismus dahinter zu verstehen, dem jeder zum Opfer fällt, der nicht durchschaut, was eigentlich Sache ist. Nämlich: Wer nicht selber seine Interessen vertritt und in der Welt/auf dem Markt/in der Wirtschaft aufrechterhält, der wird eben von denen benutzt und übervorteilt, die das eben tun. Es ist dann sogar nur fair, daß diese Menschen dann auch immer reicher und wohlhabender werden, weil sie dieses Spiel eben besser spielen, ähnlich jemandem, der in Monopoly immer mehr bei sich akkumuliert.


Dadurch ist aber die Wirtschaft an sich noch nicht böse, wie ja viele auch meinen, sondern sie hat eben Gesetzmäßigkeiten, die manche verstehen und zu ihrem Vorteil nutzen, und manche eben nicht, und dann eben benutzt werden. Hier ist aber niemand Opfer oder Täter, sondern das Opfer kann diese Rolle jederzeit verlassen, entweder indem es anfängt Stop zu sagen, sich nicht mehr manipulieren zu lassen, oder indem es einfach das Firmenumfeld wechselt. Auch Zwangsgeld kann verlassen werden, indem z. B. Edelmetalle oder Kryptowährungen erworben werden. Es gibt also immer Möglichkeiten, einer Übervorteilung zu entgehen.


Eben genanntes sage ich mir in aller Deutlichkeit natürlich selber, angesichts möglicher weiterer, "freundschaftlicher Engagements" für B. und sein Erfolgsprojekt. Das einzige, was ich da mache, ist, mich selber zu einem Deppen zu degradieren, nichts anderes. Das hat nichts mit B. zu tun, sondern ich alleine mache das, indem ich das zulasse.



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