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Dinge von großer und geringer Bedeutung

Ich weiß mittlerweile manchmal gar nicht mehr, was ich will, wenn ich den Browser offen habe. Wenn ich meine Webseitenbearbeitung, paar Dinge für die Firma und ein, zwei Webseiten abchecke, ist damit alles getan. Der Impuls noch viel konsumieren zu wollen, Nachrichten zu lesen oder Videos anzuschauen ist nahe am Nullpunkt angekommen. Und wenn ich es doch tue, vergeht mir relativ schnell die Lust oder mir wird schlecht, da es mich überreizt. Meine Balance finde ich erst dann wieder, wenn ich selber aktiv werde.


Ich kann gar nicht sagen, welche meiner derzeitigen Aktivitäten bei mir die meisten Veränderungen bewirkt: Ist es das regelmäßige Laufen? Die berufliche Betätigung, in der mich nun eine Beförderung erwartet? Das Seil-Balancieren? Das Handstand-Üben? Die Körperübungen? Das Klavierspiel? Das Schreiben? Alles gleichzeitig?


Es bereitet einfach alles auf seine Weise Freude, und wohin das führen wird, kann ich gar nicht sagen, weil da kein genaues Ziel ist. Ich weiß nur, daß mich dieses regelmäßige Befassen mit diesen Disziplinen wirklich immens bereichert, der innere Prozeß, der dabei über einen langen Zeitraum zu verfolgen ist, mit nichts zu vergleichen ist. Schnelle Befriedigung gibt es da nicht, sondern erst nach Jahren sind in manchen Aktivitäten erst verifizierbare Ergebnisse zu verzeichnen. Aber genau weil sie nicht geschenkt werden, macht es sie umso wertvoller.


Das Interessante ist auch, daß ich nicht nur in diesen Freizeit- sondern auch in den Berufsaktivitäten das Gefühl habe, daß das letztlich alles nur Nebenbetätigungen sind. Die Betätigungen an sich haben letztlich nämlich gar keine große, weltbewegende Bedeutung, aber ich meine hier nicht, daß sie deswegen „larifari“ oder schlampig anzugehen sind:


Eine Regel, die von Fürst Naoshige in dem „Schreiben an der Mauer“ hinterlassen wurde, liest sich so: „Dinge von großer Bedeutung sollten gelassen angegangen werden.
Ittei sagt in seinem Vorwort zu dieser Regel: „Dinge von geringer Bedeutung sollten ernsthaft angegangen werden.

- Aus dem Hagakure


Was sind also die Dinge von großer Bedeutung, könnte man jetzt fragen? Was jeder Mensch dazu zählen würde: Karrieretechnische Entscheidungen, Partnersuche und -wahl (Heirat, Familie, Kinder etc.), Finden eines Wohnorts (Auswandern etc.). Interessant ist, daß jeder aber genau diese Dinge oft sehr lange durchdenkt und plant, so als würde nur die eine richtige Entscheidung in einer dieser Fragen dem Leben eine revolutionäre Wendung geben, wodurch diese Dinge natürlich eine Wertung und ein Gewicht bekommen, welches sie gar nicht halten können.


Dagegen sind die täglichen, geistigen und körperlichen, „handwerklichen“ Tätigkeiten sorgfältig und entschlossen ausgeführt wirklich in der Lage dem Leben eine Wendung zu verleihen, was ungleich schwerer ist, da das ja keine einmalige Hauruck-Aktion ist, sondern dort Veränderungen täglich oft kaum wahrnehmbar sind. Erst nach und nach ist dann oft verwundert nach einigen Monaten, wenn nicht Jahren zu bemerken, wie stark die Disziplin reingehauen, wirklich transformiert hat.


Daher ist mein Impuls nahezu erloschen, noch irgendwie groß umziehen, weit weg oder ins Ausland zu wollen, meinen Job zu wechseln oder unbedingt noch „die eine Frau“ fürs Leben finden zu wollen, da es vor allem der Verstand ist, der da irgendwelche Hoffnungen auf großes Glück hineinprojiziert, was diese Dinge auf Dauer nie halten können, weil auch das, was ich da bekomme, schnell wieder langweilig werden wird, und dann wieder „was Neues“ kommen muß. Jeder Job hat nämlich auch Punkte, die eher unangenehm sind, jeder Sex mit einer Frau wird irgendwann zur Routine und die nächste Frau scheint dann wieder begehrenswerter und in jedem Land der Welt kehrt irgendwann der Alltag ein, aus dem eine Ausflucht gefunden werden soll.


Die intelligente Herangehensweise an all diese Fragen ist also eindeutig sie völlig losgelöst anzugehen, so als wären sie nur Nebenaspekte, eher wie „Welche Farbe hat deine Zimmerwand?“ oder „Welches Auto fährst du?“. Da gibt es nämlich nicht die eine richtige Entscheidung, oder den einen goldenen Moment, der das Blatt wendet, sondern das Blatt wenden tut nur tatsächlich die Art und Weise, wie du es mit deinem Geschirrspülen, deinem Toilette-Putzen, deiner Gartenarbeit, deiner Renovierung, deinen täglichen Verrichtungen in Freizeit, Alltag und Tagesberuf hältst, denn nur die volle Ernsthaftigkeit dabei führt zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und Präsenz, welches letztlich der einzige Hort von Glückseligkeit ist.


All die anderen, angeblich so wichtigen Momente - erfüllender Sex, Hochzeitszeremonie, Geburtstage, Feiern, nette Momente mit anderen, im Urlaub - führen nur dazu, daß sich der Verstand diese Momente abspeichert, und dann alle Momente des manchmal auch grauen, vielleicht sogar einsamen Alltags mit diesen vergleicht. Und damit ist die ultimative Selbstfolter installiert.


Entwickle ich jedoch Fähigkeiten, an denen ich mich jederzeit erfreuen kann, werde dadurch präsenter, habe dadurch mehr Energie zur Verfügung, so ist mir die Dichte und Intensität des Hier und Jetzt bereits mein Zuhause, und alle anderen Verlockungen werden sofort als billige Versprechungen des Verstands durchschaut. Ich brauche nicht mehr die glücklichen Momente, weil nun ab sofort jeder Moment interessant wird. Selbst wenn ich mal phasenweise müde und erschöpft bin, so muß ich mich deswegen nicht ablehnen, weil ich ja damit meine Chance auf Glück nicht weiter verfolge, sondern ich weiß, daß ein Auto eben zwischendrin auch mal Tanken muß, bevor es wieder fahren kann. Es ist kein Grund, sich deswegen stressen zu müssen. Die PS unter der Motorhaube verschwinden ja nicht plötztlich, sondern bleiben.


Wer weiß, daß die tägliche, manchmal auch harte Arbeit langfristig Ergebnisse einfahren wird, kann nicht mehr geködert werden, durch das leichte Glück, das nur hinter der nächsten einmaligen Handlung wartet - ähnlich wie es manche in Werbungen auf YouTube darstellen, die einem das Gelbe vom Ei bei Befolgen ihres goldenen Geschäfts-Masterplans versprechen. Selbst wenn so etwas kurzfristig mal verfolgt wird, so fehlt hierbei aber eine entscheidende Komponente: Die Freude an der Herausforderung. Das Motiv Geld zu verdienen ist keine Herausforderung, sondern dahinter steckt einfach nur die Gier nach mehr.


All meine Projekte, die ich mir vom Kopf her auferlegt habe, weil sie angeblich gut oder gewinnbringend oder nützlich sind, sind gescheitert: Sprachen-Lernen, Schauspielern, Malerei. Diese Dinge hatten für mich keine Aktualität, und nur der Verstand wollte da „etwas machen“. So funktioniert das aber nicht. Es gibt da nichts zu machen, sondern wenn das Interesse da ist, entsteht das Machen, weil das Nicht-Machen nur Quälerei bedeuten würde.


Hiermit sollte klar sein, was wirklich von großer und was von geringer Bedeutung ist.

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