Ich kriege nämlich sofort ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht den von den meisten vorgegebenen Verhaltensweisen und Praktiken folge z. B. Maske in der Öffentlichkeit tragen will, nicht mit Karte an der Kasse bezahle, nicht überall permanent auf die Abstandsregelung achte. Vielleicht sogar auf eine gewisse Art mir meinen Humor und meine Freude trotzdem nicht nehmen lassen will, unter diesen Umständen noch lange keinen Grund sehe, deswegen bedrückt und verängstigt durch die Welt laufen zu müssen.
Dieses schlechte Gewissen ist hier der Knackpunkt, ist die Instanz dieser Gesellschaft in mir, die mich zur Konformität und zum Mitläufertum drängen will, weil ich das so freiwillig nie tun würde. Es ist dieses Dazugehören-wollen, Nicht-aus-der-Reihe-tanzen-wollen, daß ich schon seit jeher bei mir am Arbeiten sehen kann, und sicher auch einen dominanten Teil meiner Persönlichkeit darstellt. Dieses Lauern darauf, Was denken die Anderen über mich, wie ist der Blick des anderen, wie könnten die Echos auf Aktionen von mir ausfallen?
Wichtig zu unterscheiden ist hier: Kann ich das beobachten? Denn das Zeugenbewußtsein von alldem ist weder deutsch, noch international, noch sonst wie geartet, sondern betrachtet diese deutsche Konditionierung und Prägung, hier in diesem Land, mit dieser Mentalität aufgewachsen zu sein, völlig unbeteiligt, und sogar wertfrei. Nur in dieser (letztlich immer gültigen und wahren) Perspektive ist wirkliche Freiheit möglich, und nicht durch z. B. durch Widersetzen und Widerstand gegen eine Herde und deren Vorgaben.
Man kann dem folgen, oder auch nicht, darauf kommt es gar nicht so sehr an. Ich kann das Spiel sogar bis zu einem gewissen Grad mitspielen, mich, wenn es sein muß, und wenn es tatsächlich soweit kommt, sogar impfen lassen. Solange aber die Möglichkeit besteht, es nicht zu müssen, würde ich natürlich Letzteres wählen. Es ist aber nicht so wichtig, wie reaktionsmäßig angenommen, weil auf dieser Ebene die Freiheit ohnehin nie erkämpft werden kann. Sie findet statt durch Dahintertreten und -sehen, durch Durchschauen der Verstandesmanöver in einem selber, die zum Großteil eingepflanzt wurden. Und einmal durchschaut kann das eigene natürliche Wesen wieder durchluken, nach und nach mehr zur Entfaltung kommen, wo es vorher durch die Abrichtung dieser Kultur verkümmert ist.
Frei werde ich sicher nicht, durch ein Mich-empören und eine Trotzhaltung gegenüber Vorgaben und Regelungen, auch wenn ich sie nicht befürworte. Kindergartenkinder machen das, wenn sie sich gegen Entscheidungen der Eltern auflehnen oder mit ihnen aus purer Gläubigkeit mitgehen, aber doch nicht souveräne Erwachsene. Ein Erwachsener, reifer Mensch ist nicht mehr in dieser Abhängigkeit, schätzt die Unabhängigkeit.
Dieses Mit-den-Geschehnissen-und-den-Anforderungen-mitfließen, aber nicht identifiziert zu sein, ist am besten in der Bhagavadgita beschrieben, in der der Schüler (Arjuna) in den Krieg ziehen muß, wo er auch gegen Angehörige kämpfen muß, daß aber nicht will, woraufhin ihm sein Meister (Krishna) rät, es trotzdem zu tun, einfach, weil es so sein muß und jedes Abwägen nicht hilfreich ist. Und so ist es in dieser deutschen Situation vielleicht auch wichtig, in der Situation das zu tun, was von einem verlangt wird, aber nicht, weil man es glaubt, blauäugig der Güte der Führung vertraut, wie sonst fast jeder um einen herum, sondern weil es eben die Situation so erfordert und jeder Widerstand nur unnötig die eigene wertvolle Energie und Aufmerksamkeit verschwendet.
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