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Wissende und Zweifelnde


Die größte Falle ist die Identifizierung mit dem Sich-auskennenden oder Wissenden. Ich merke immer wieder, besonders an ganz einfachen Situationen, wie wohltuend, ja hochgradig notwendig es ist, die gängigen Gewohnheiten und Herangehensweisen zu ändern, sie durch neue, vielleicht sogar bessere Lösungen zu ersetzen. Um das aber an sich heranzulassen - sei es durch eigene Beobachtungen oder auch Hinweise von Anderen - muß das einzementierte Ego ein wenig aufgeweicht werden, schon variabler, formbarer, durchlässiger geworden sein.

Da war z. B. letztens ein Hinweis von jemandem vor ein paar Monaten, daß das Schnürsenkelbinden mit einer anderen Technik viel strammer und fester funktioniert, so daß weniger oft nachgebunden werden muß, z. B. an den Arbeitsschuhen. Da ich schon jahrelang meine Schnürsenkel nun aber mit meiner Technik gebunden habe, war es doch erstmal ungewohnt die neue Art zu probieren, ist es ja etwas, was ich wirklich jeden Tag tue. In diese doch sehr banale, alltägliche Tätigkeit diese besondere Aufmerksamkeit zu investieren war erstmal ein wenig unangenehm, oft habe ich noch auf die gewohnte Variante zurückgegriffen, aber nach und nach hat sich die zweite Variante durchgesetzt und ist nun meine favorisierte Bindeart, da sie in der Tat fester ist und länger ohne Nachbindung hält.

Man kann das Beispiel auf jede Art von Tätigkeit, Handwerk, Beruf oder Erkenntnisstreben anwenden. Es gibt selbst nach mehreren Jahren Erfahrung immer wieder Momente in denen man denkt (ich zumindest): Wahnsinn, daß ich das noch nicht kennengelernt habe. Diese Problemstellung hatte ich noch nie. Da fühle ich mich überfordert, das kann ich nicht. Die und die Herangehensweise könnte tatsächlich besser funktionieren. Letztens fand ich z. B. an einer normalen Ratsche für Spanngurte - was nun wirklich das absolute Basiswerkzeug in meinem Beruf zur Ladungssicherung ist - einen Hebel, den ich vorher noch nie zuvor gesehen habe, der eine weitere Ablösemöglichkeit bietet, falls es mit dem anderen Hebel nicht geht. Jahrelang ist mir der nicht einmal aufgefallen! Der macht es aber um einiges leichter, wenn das Lösen durch Gegenstände blockiert ist. Auch die Möglichkeit den Gurt nochmal zurück durchzustecken, um damit leichter vorzuspannen, ist mir erst heute gekommen, auch wenn ich das bei anderen schon hin und wieder gesehen habe. So geht es aber wirklich viel angenehmer, als wie ich es die ganze Zeit praktiziert habe.

Ich weiß, daß das alles total unspektakulär und langweilig wirken mag, aber da steckt eine ganze Welt drin. Es geht um weit mehr als nur um diese einfachen Praktiken. Es geht um Offenheit, und darum, wie sehr jemand mit dem Leben im Kontakt ist. Und da ist es vollkommen natürlich sich nicht auszukennen, Lücken zu haben, auch Zweifel zu erleben. Ich kann sogar - was besonders letzten Punkt angeht - sagen, daß ich da regelrecht ein Experte bin. Selbstzweifel kenne ich in allen möglichen Gefühlsschattierungen und -nuancen. Für das habe ich mich doch auch lange geschämt, es als Schwäche und Makel gesehen, weil es einfach hierzulande nicht besonders gut bewertet wird, von meinem Vater sogar regelrecht bekämpft wurde, was sich in meinem Verstand bis heute als innerer Kritiker zeigt. Und dennoch muß ich sagen, ist es im Kern etwas, wofür ich sehr dankbar bin, weil es mich davor bewahrt abzuheben, ein Erfolgsego zu entwickeln.

Mir scheint das rein bio-physikalisch gar nicht möglich: Wenn ich mich z. B. auf Minibagger oder Lader setze, so bin ich mittlerweile durchaus vertraut mit den Maschinen (Auto kann ich auch dazuzählen). Und dennoch bleibt da immer eine gewisse Ehrfurcht, ein Respekt vor der Komplexität dieses Geräts und seiner technischen Funktionen und Einrichtungen, wie auch vor der Verantwortung im Umgang damit. Sehe ich andere, so scheinen diese das wenig bis gar nicht zu haben, scheinbar völlig selbstsicher und ohne Zweifel bedienen sie alles so, als hätten sie das schon immer gekonnt. Mich wundert, woher diese absolute Sicherheit gezogen wird? Ein Vergleichen ist hier natürlich nicht wirklich von belang für mich, aber dennoch finde ich interessant, was da psychisch abläuft, und was z. B. viele andere Männer gar nicht zu haben scheinen.

Ich könnte das auch auf den Kontakt mit Frauen ausweiten: Mir scheint, daß es genau dasselbe ist, was auch "Erfolg" bei Frauen generiert. Das sind sicher nie die Lücken. Die Lücken, die z. B. auch in Gesprächspausen enstehen. Ich konnte z. B. bei meinen "Dates" immer folgende Beobachtungen machen: Entsteht mal eine Pause, so ist das ein absolutes No-Go, denn mir scheint es so, daß Frauen wollen, daß man sich als Mann ins Zeug legt, zwanghaft irgendetwas liefert. Einfach so zu sein, sich im Nicht-Wissen einzurichten, das zeigt, daß man sich nicht genug engagiert und sie als Frau uninteressant findet. Ich muß ganz klar signalisieren und wissen: Dich will ich! Und weil das von meiner Seite so klar nicht rüberkommt, ist da das Interesse bei den Frauen recht schnell verflogen. Genau aber, wie ich schon die Maschinen erst vorsichtig abtaste, aus einer gewissen Vorsicht und Fehlervermeidung heraus, genauso achtsam versuche ich auch auf Frauen zuzugehen.

"Selbstsicherheit" (oder eher Brachialität, Unsanftheit) kann ich mir nicht antrainieren. Das weiß ich, weil ich das sogar schon mal ausgiebig probiert habe - vor ein paar Jahren im Leonard Baumgardt Coaching für die, die es interessiert - und ich muß sagen, daß die Mutproben, die er empfohlen hat, von mir alle praktisch umgesetzt wurden, doch letztlich keinen Langzeiteffekt erzielt haben, was Selbstvertrauen, Stärke und Kraft angeht. Wie ich heute weiß, kann das einzig und allein durch Selbstakzeptanz entstehen, durch einfaches, ehrliches So-sein mit allen Dingen, besonders da, wo einem die Gesellschaft sagt, man habe versagt, den Schwanz eingezogen, oder sei nicht dominant genug aufgetreten. Die, die das propagieren sind immer die falschen Ratgeber. Und so ist es auch mit allen Unsicherheiten und Zweifeln, wie ich sie z. B. in meinem Job oder mit Frauen beschrieben habe: Die kann und soll ich gar nicht loswerden. In Wahrheit sind sie sogar mein Kapital, weil ich nur durch die zu neuen Aufschlüssen komme, wo andere schon meinen, sie wären am Ende der Fahnenstange. Von wegen! Wer das meint, ist erst recht auf verlorenem Posten, weil er nicht mehr aufnahmebereit ist. Und das ist die Grundvoraussetzung für alles Wichtige im Leben.

Es sollte klar sein, daß "die Zweifelnden" in dieser Gesellschaft nie einen hohen Rang oder Posten einnehmen werden, weil so jemand niemals bewundert werden wird. Viel eher wird so jemand an den Rand gedrängt, weil er ihnen ihre eigene Kleinheit spiegelt. Es geht aber nicht darum, da irgendeine Rolle zu übernehmen. Der einzige Job ist es, diesen "Makel" in Kapital umzuwandeln, denn es ist in Wahrheit nichts anderes als inneres Gold. Ein Wert, der normalerweise übersehen wird, weil er zu subtil, zu unaufdringlich ist.

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Gerade wieder entdeckt:

Bestechend und klar verdeutlicht, auf spielerische Weise!

Wieso weißt du das nicht, das solltest du aber wissen!, kennt sicher jeder aus seiner Schulzeit. Absoluter seelenverachtender Dreck, kann ich da nur sagen. Steckt euch euer "Wissen" sonst wohin. Glücklich werdet ihr damit sicher nicht!

Natürlich wurde das, was Frau Birkenbihl da versucht konstruktiv beizutragen, nie hier in Deutschland umgesetzt. Wieso das nicht funktioniert, sollte klar sein: Die Menschen hier sind so nicht. Sie wollen das auch nicht. Wie ich dieses Land und seine Menschen erfahren habe, ist es leider oft so gewesen, daß sie sich daran aufgeilen, daß man sogenannte "Fehler" macht, die Regeln nicht exakt einhält, etwas nicht kann, weil es ihnen eine Art von Genugtuung gibt. Es hat schon etwas von Sadismus, Häme und Gehässigkeit. Das in diesen Menschen zu reformieren, durch Lehrbeiträge, Forschungen und neue Methoden ist schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt.

Was bleibt ist, sich davon frei zu halten. Lernen ist freudig, und garantiert nichts, wo man sich etwas reindrücken lassen muß, und sich dabei schlecht fühlt.

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- Rainer Maria Rilke


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