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Die leere Wiese


Gerade habe ich einen für mich untypischen Abendspaziergang gemacht. Ich wollte nur kurz zur Bank, bin aber dann spontan doch ein längeres Stück draußen herumgegangen. Abends nach der Arbeit bin ich meistens so platt, daß ich das meist nie mache. Diesmal war es aber so, und mir ist einiges neu aufgefallen.

Ich ging also ein Stück und stand vor einer offenen, weiten Wiese, mitten hier in meiner Wohnsiedlung. Zwar bin ich schon öfter daran vorbeigekommen, laufe auch jeden Morgen daran vorbei, aber zum ersten Mal bin ich mal innegehalten und habe das auf mich wirken lassen: Wie untypisch das ist?, kam mir hoch. Vor allem für Deutschland, wo ja alles immer irgendwie einen Zweck oder Sinn haben muß. Selbst jede Hecke dient als Einfriedung für ein Grundstück oder als Flur in der Landschaft, jedes Bäumchen im Forst wird auf seinen Nutzen berechnet, jeder Grashalm wird wenn er etwas zu hoch ist abgeschnitten, jedes Bächlein begradigt. Hier gibt es nicht einfach nur etwas, was einfach nur so da ist, eigentlich...

Jetzt stehe ich also vor dieser Fläche, die zu nichts gut zu sein scheint. Vielleicht wird sie ein- bis zweimal im Jahr kurzgeschoren, aber mehr auch nicht. Da wächst nichts, nichtmal Mais, Getreide oder Gemüse. Auch ich fand sie ja bisher auch irgendwie uninteressant, irgendwie fehl am Platz, ich meine, wir sind hier in einer Wohnsiedlung einer Stadt, das müßte doch schließlich bebaut, oder als ein Park, oder sonst irgendwie genutzt werden, aber doch nicht so! Das ist ja völlig irrational. Da ist ja nichts, nur einfache Wiese, auf der noch nicht mal jemand drauf laufen kann, weil es so huckelig und verwachsen ist.

Mich hat das jedenfalls magisch in den Bann gezogen. Und es ist sicher auch kein Zufall, daß das so da ist. Es ist nämlich für den Verstand unverständlich, irrational, vollkommen ohne Bedeutung. Aber genau da wird es spannend. Da wo dieses Vakuum ist, womit keiner so richtig etwas anfangen kann, was aber unzweifelhaft da ist. Genau das ist das eigentlich Wichtige, was es in einer Lebensspanne zu entdecken gibt.

So ist es doch ein ziemlich gute Gleichnis. Es ist nicht das, was ich weiß oder was ich verstanden habe, was ich erreicht habe oder besitze, meine Fähigkeiten, Fertigkeiten, die mich auszeichnen, sondern genau dieses Nichts, diese völlige Leerheit, ohne Nutzen für irgendetwas, für die Gesellschaft schon gar nicht. Ich gehöre niemandem, ich habe keine Identität, ich bin einfach wie dieses leere Feld ohne bestimmte Funktion. Mitten in einem Umfeld in dem alle versuchen, aus sich etwas zu machen, sich auszuschmücken, mit Meinungen, Haltungen, Standpunkten, und auch auf mich diese Maßstäbe anwenden. Ich aber passe da nicht rein, weil das alles zuviel ist. Wie dieses Feld mitten im Wohngebiet. Dort kann man noch weit sehen, in die Landschaft, der Blick nicht versperrt, der Himmel groß, der Boden nicht versiegelt. Ein Raum, der nicht schon beansprucht mit Vorgefertigtem ist, sondern ein Raum, nur für neue Ideen und Möglichkeiten.


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