Das Thema ist weiterhin aktuell. In einem Mail-Newsletter eines Pianisten, den ich wegen einiger guter Anregungen und Tutorials bezüglich des Klavierspielens abonniert habe, fiel mir eine bestimmte Denkweise auf, die sehr typisch ist, und es verdient genauer beleuchtet zu werden. Die Überschrift war: So überwindest du dich regelmäßig zu üben. Darin bietet er eine bestimmte Methode zum Verkauf an, mit der es möglich sein soll, jeden Tag mit Freude an das Instrument zu gehen. Es ist natürlich Ok und berechtigt, daß er sein Produkt anbietet, und das will ich gar nicht kritisieren, denn es hat sicher viel Arbeit und Aufwand gekostet, das zu entwickeln, aber es gibt einen gewaltigen Haken an der Sache, und um das zu sehen muß ich das Produkt nicht kaufen.
Der Fehler ist: Er spricht einen Handelnden an, der meint, sich, seine Interessen, Neigungen und Aktionen zu steuern, einen, der mit bestimmten, neuartigen Denkweisen einen anderen in mir zu etwas zu bringen versucht, was dieser aber vorher nicht konnte oder wollte, oder der einfach zu träge oder desinteressiert war. Er spricht eine künstliche, übergeordnete Instanz an, die über dem natürlichen Wesen steht, damit dieses bestimmte Sachen erlernt; dafür bekommt die kreierte Instanz bestimmte Hilfen an die Hand, wie das Erhoffte am besten gelingen soll. Diese Denkweise ist zwar gängig und normal, in Wahrheit aber vollkommen hirnrissig, weil da nicht zwei in mir sind, die sich gegenseitig wechselwirken, und wo der eine darin bestärkt wird, daß er das andere zu etwas bringt.
Ich kenne von mir Jahre, in denen ich wöchentlich Keyboard-Unterricht hatte, für diese aber wenig geübt habe. Gezwungen wurde ich nicht zum Üben, aber sanftes Ermuntern meines damaligen Lehrers gaben mir auch keinen Kick. Nichts von außen konnte wirklich langfristig etwas in Gang bringen. Ich hatte Phasen in denen ich öfter spielte, dann wieder längere Phasen, in denen ich überhaupt keine Lust hatte. Spielen kann ich zwar, es ist aber nicht berauschend. Vor Vorspielabenden hatte ich selber ein Interesse, mein Stück zu können, weswegen ich mehr als sonst mit dem Instrument praktizierte. Es gab sonst aber keinen inneren Schweinhund, den ich überwinden wollte, so wie der Pianist das in seiner Mail meint. Wieso soll ich spielen, wenn ich nicht spielen will? Was soll der Sinn der Sache sein, wenn nicht der, daß ich dieses Hobby in meiner Freizeit als freudige Aktivität erkenne und genieße? Überwindung ist doch genau das Gegenteil, es ist ein Sich-Abrackern.
Was er anspricht kenne ich von mir eher von anderen Aktivitäten, weniger vom Klavier- und Keyboardspielen, eher von z. B. Muskeltraining: Ja, ich sollte mehr trainieren, damit ich größere, definiertere, stärkere Muskeln entwickle, damit attraktiver wirke. Leider tue ich das noch nicht genug, ich sollte mehr leisten, andere tun das mehr, können mehr, schauen besser aus. Die Falle ist dann: Ich habe sicher noch nicht die richtige Methode gefunden, die mich voll motiviert, damit ich das Vorhaben endlich umsetze, aber wenn ich sie finde, dann wird alles viel leichter. Das ist der Köder, und weil viele so denken, gibt es auch etliche Anbieter, die das dann in vielen Branchen als Markt erkennen und bedienen.
Der Punkt ist: Es gibt keinen leichten Weg. Das ist ein Mythos. Wer etwas können will, muß Energie investieren, und es ist genau richtig so. Wenn jeder sofort klasse E-Gitarre spielen könnte, wenn er sie das erste Mal in die Hand nimmt, dann hätte das absolut keinen Wert, und wäre so normal wie Gehen, Atmen, Essen. Der Aufwand mit all den Hürden gehört zu einer Aufgabe und macht sie überhaupt erst reizvoll und spannend.
Der andere Punkt: Es bringt überhaupt nichts, mich zu etwas zu quälen, was ich aber gar nicht wirklich will. Es gibt viele Gedanken wie: Ich würde gerne Klavierspielen können, eben mehr Muskelmasse haben, Abnehmen, einen Job haben, oder mehr Geld verdienen, was auch immer. Es sind aber nur manchmal kurz aufflackernde mentale Manöver, energielose Wünsche und Träume. Die Frage ist: Tue ich etwas. Wenn ich etwas gerne tue, dann wird sich die Aufmerksamkeit von selber auch regelmäßig auf ein Gebiet begeben, selbst wenn Schwierigkeiten drohen. Will ich wirklich mit dem Rauchen aufhören? Wenn ja, dann brauche ich kein Motivationsseminar, ich weiß sofort und direkt, was Sache ist, was ich zu tun habe, ohne lange zu überlegen.
Nun ist das Rauchen nicht mein Beispiel, und kann deshalb nicht aus eigener Erfahrung berichten. Es läßt sich aber übertragen und spielt bei jeder Art von Ich will ja, aber ich kann nicht mit. Meist ist es so, daß ich dann nicht wirklich will, so z. B. das Muskeltraining. Wäre mir das wirklich wichtig, nichts auf der Welt könnte mich davon abhalten. Genausowenig wie mich irgendwelche Mitbewohner oder Kumpels davon abhalten können, meine organisatorischen, finanziellen Unklarheiten anzugehen. Ich will es nicht, und lenke ich mich stattdessen lieber ab. Ich schaue mir lieber Filme und Serien an, anstatt Klavier zu spielen, dann will ich eben das. Aber ständig mit mir zu kämpfen ist völliger Irrsinn, weil es nichts nutzt.
Es gilt deshalb vor allem, mich als Nichtsnutz zu nehmen, mir auch einzugestehen, daß das eben gerade das ist, was ansteht, wenn es denn so ist. Die großen, pathetischen Ziele brauche ich mir nicht vorhalten. Klar, der Verstand tickt so, ständig unruhig und rastlos auf der Suche nach dem ultimativen Leben, mit allen möglichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen, mit all dem Lob, dem Ruhm, der Ehre, die ich mir davon verspreche. Sehe ich das aber, dann geht gleichzeitig auch der Druck weg, der all diese Errungenschaften mit Wichtigkeit auflädt, und es wird Raum frei, der auch eine spielerische Komponente zuläßt.
Siehe da, plötzlich habe ich gefallen daran, etwas disziplinierter über einen gewissen Zeitraum zu tun, einfach, weil es interessanter ist einen Prozeß über längere Zeitspanne mitzuverfolgen, als nur ein oder zwei Tage kurz was zu testen, was aber auch Ok wäre. Plötzlich bringt Arbeiten tiefe Befriedigung mit sich, weil es mehr Attribute von mir verlangt, die sonst einfach brachliegen würden. Plötzlich fängt auch der innere Schweinhund, wie man ihn nennt, an, zu kooperieren, eins zu werden mit dem eigentlichen Willen des Menschen, weil das Bessere, das Natürliche seinen Platz einnimmt. Keine zwei widerstreitenden Tendenz sind mehr nötig, nur noch das, was jetzt passiert, total zu erlauben, auch einfache Trägheit und Faulheit.
Ich höre es schon: Was! Das geht doch nicht, dann wirst du doch erst recht versacken, ein arbeitsloses, faules Stück werden, der nur noch auf seiner Couch flackt und Fastfood ißt! So leicht kann es doch nicht sein. Wie war ich aber als Kind? War ich da tatsächlich nur auf Komfort aus, oder war da nicht mehr als genug Energie für stundenlange Abenteuer draußen da? Vertraue ich dem, oder mißtraue ich dieser eigenen Erfahrung, so daß ich anfange mir Ratgeber zuzuziehen, die mir versuchen zu erklären, wie ich anfange mich zu motivieren, damit ich "etwas werde"? Kann ich nicht einfach wieder zurück an den Punkt gehen, wo ich die Freiheit habe, faul rumzuliegen? Wieso nicht? Wieso glaube ich Leuten, die mir dann einreden, ich wäre dann das, was ich jetzt auch als Nichtsnutz bezeichnet habe? Was ist mit diesen Leuten? Sind sie etwa von Nutzen? Was heißt Nutzen? Wem, wofür?
Für mich ist das Passé. Ich will niemanden mehr beeindrucken, weder Arbeitgeber, noch Kunden, noch Kollegen, noch Kumpanen. Die können sich alle ihren Nutzen ausrechnen, den sie von mir haben, sich gegenseitig ausnutzen, übertrumpfen, es hat alles nichts mit mir zu tun. Wenn wir schon bei Übertrumpfen sind: Der Name Trump sagt das ja schon aus: Er trumpft auf, er triumphiert. Hat er ein mentales Muster über seinem Handeln? Wohl kaum. Sonst wäre er nie und nimmer US-Präsident geworden. Das geht so gar nicht. Wenn ich mir diesen Menschen so ansehe, dann sehe ich jemanden, der alles, was er tut, mit einer inneren Genugtuung vollzieht, selbst langes hartes Arbeiten. So etwas, kann nicht einer Ratgebermeinung entstammen, sondern nur einer starken Überzeugung, die von innen kommt, und niemand anderem je ganz nahegebracht werden kann. Und die Kapazität hat jeder in sich, und selbst wenn diese Überzeugung nur dazu führt, daß ich einen langen Text im Internet lese. Dahinter steckt dasselbe. Jeder hat alle Trümpfe bereits in der Hand. Will ich das aber wahrhaben?