Ich bin der anderen Seite sehr dankbar für die Schilderungen der Jugenderfahrungen und -eindrücke. Für mich ist es einfach deshalb wertvoll, weil ich mich in meiner Innenwahrnehmung zum ersten Mal verstanden fühle, wo ich davor sonst gedacht habe, ich wäre alleine, es wäre nur meine Situation, und ich wäre der Übeltäter. Ich sehe jetzt deutlich: Es bin nicht ich, der sich da etwas eingebildet hat, der gehaßt hat, der dauernd etwas falsch gemacht hat, etwa kein guter Sohn gewesen ist, nicht aufmerksam genug, oder untalentiert war, sondern der Fehler lag woanders, in einer Sache, die nicht nur mich speziell betrifft, sondern eben doch leider öfter in der Natur des Menschen, zumindest hierzulande, vorkommt, und wenn dieser Haß, wie er es treffend beschreibt, in unserem Fall durch den eigenen Vater kommt, dann ist das umso härter, weil das dann die grausame, verriegelte Wirklichkeit ist, ohne Aussicht auf Licht am Ende des Tunnels.
Mich verblüfft einfach, daß da etwas in Worte gefaßt wird, was mich lebenslang täglich belastet hat, und auch weiterhin wie ein Schatten wirkt. Die Ähnlichkeit der Lage ist für mich jedesmal verblüffend. Es ist sicher auch kein Zufall, daß ich exakt darauf gestoßen bin, weil es genau das gewesen ist, was mir einen Ausweg gezeigt hat. Es ist wohl wirklich so, daß vor allem die hoffnungslos beschädigten Menschen herausfinden müssen, wo wahre Freiheit zu finden ist. Und die liegt eben nicht im Einholen des Maßstabs einer verhärteten Gesellschaft, sondern im Deidentifizieren und Loslassen von alldem. Es ist einfach unerträglich mit dem Bild umherzulaufen, was z. B. mein Vater, aber auch andere Verwandte, Lehrer, Kumpels in mich gepflanzt haben, und wer kann es wirklich als absolutes Glück erfahren das nicht zu sein, wenn nicht derjenige, der daran massiv gelitten hat, der damit überhaupt nicht zurechtkommen konnte?
Wenn ich z. B. meine Geschichte mit den Frauen betrachte, dann ist das, was ich im Alter zwischen 14 und 22 erlebt habe, was für die meisten jungen Leute eine Zeit des Experimentierens und Einfühlens in das andere Geschlecht ist, eine Zeit gewesen, die ich nicht mal meinem schlimmsten Feind wünschen würde, so zerfleischend, so nagend, so folternd ist die Situation völlig isoliert von jeder Kontaktmöglichkeit zu stehen, und dabei noch ständig gesagt zu bekommen, man selber wäre das Problem. Es mag sich total übertrieben anhören, ich weiß, aber jemand, der das so nie erlebt hat wird da immer nur einen Jammerer sehen, jemanden, der eben noch nicht genug an sich gearbeitet hat, der seine Unfähigkeit auf andere schieben möchte, oder der einfach nur neidisch ist, weil andere attraktive Freundinnen haben. Das ist es aber alles nicht. Es ist ein viel, viel tiefgreifenderes Gefühl, ein Gefühl von der Einheit im Stich gelassen worden zu sein, ein Gefühl im schwärzesten Loch zu sitzen, völlig unverstanden und klein. Durch diese Demütigung muß mal jemand durch, der ständig Bestätigung von außen bekommen hat durch liebende Eltern oder auch Partnerinnen. Klar, meine Mutter hat oft versucht sich so zu geben, aber das sie meinen Vater hat so tolerieren können ist in meinen heutigen Augen unverzeihlich gewesen, und hat sicher auch mein Zutrauen gegenüber Frauen vorsichtig ausgedrückt viel mehr in starke Skepsis verwandelt.
Ich möchte noch die Situation meines Cousins erwähnen, denn ich sehe bei ihm eine ähnliche Vaterprägung (unsere Väter sind Brüder). Auch er wurde sehr oft beschnitten, beschimpft, zurechtgestutzt, zur kleinsten, unwürdigsten Made degradiert, soweit ich das mitbekommen konnte, als ich als Junge dort zu Besuch war. Da ich mit ihm nach und nach immer weniger Kontakt hatte, ist mir nie aufgefallen, daß er auch nie eine Freundin hatte. Verdutzt muß ich das erst jetzt feststellen. Erst ziemlich spät hat er eine gefunden, nun auch geheiratet, aber etwas scheint mir da nicht ganz stimmig, und ich nehme auch in Kauf, daß das hier öffentlich steht, weil ich keine Aktien in diesen sozialen Beziehungen habe. Es geht um einen viel wichtigeren Wert. Ich möchte nicht zu viel darauf eingehen, aber meinem Gefühl nach ändert die Freundin an seiner Gebrochenheit überhaupt nichts. Diese Partnerschaften, die dann eintreten - wenn es dazu kommt - wirken eher wie Alibi-Partnerschaften, damit man halt nicht alleine ist, aber sie strahlen keine Würde aus, kein Sich-tiefer-aufeinander-einlassen. Solange das Verbrechen unserer Kindheit nicht am Licht ist, wird nichts auf der Welt das wieder heilen können. So deutlich muß ich das sagen.
Diese Typen, wie mein Vater, mein Onkel, aber auch diese ganze Clique um sie herum, diese ganzen sich stark gebenden Sowjets, wie ich sie jetzt mal nenne, nicht zufällig fast alle auch Raucher, spielen sich wie die Größten auf, und erzeugen so auch eine Imposanz, die Respekt einflößt. Sie wissen alles, sie können alles. Dabei wirken sie wie Gorillas, so wie viele Russen tatsächlich auch ausschauen, mit ihrer vorstehenden Stirn (Beispiel: Nikolai Valuyev). Und mit dieser Ausstrahlung versuchen sie auch alles in ihrer Umgebung mit ihrem Uga-uga zu dominieren, nach ihren Vorstellungen zu kontrollieren, schlagen auf ihre Brust und besonders ihre Söhne sollen kuschen, die besonders. Im Betrieb geht das nicht, da bekommt man seine Kohle, und auch unter Kumpels nicht, da muß man sich gut und beliebt stellen, man will ja die Hackordnung nicht durcheinanderwürfeln. Also, was bleibt? Genau, die Söhne, auf denen wird rumgehackt; der soll "erzogen" werden, der Wortlaut meines Vaters im Gespräch mit meiner Mutter, einst heimlich belauscht. Ich bin noch kein richtiger Mann wurde mir gesagt, ich werde einer, wenn ich unsensibler werde und meine Schwächen ablege. Das weiter ausführen möchte ich nicht, es sollte klar sein, wo in diesem Denken der Wurm drin ist.
Interessant ist: Meine Cousine fällt auf das falsche Männerbild herein. Ihr Freund ist auch nicht zufällig ein ähnlicher Typ wie unsere Väter, schaut sehr ähnlich aus wie sie oder Valuyev. Das ist ein Typ, der sicher nicht aufgrund seiner feinfühligen Qualitäten ausgewählt wurde, sondern eben genau diese Holzkopf-Plumpheit aufweist. Ich empfand meine Cousine immer als sehr intelligent und feinsinnig, es waren immer sehr schöne Gespräche mit ihr möglich, aber über diese Partnerwahl bin ich doch etwas überrascht. Diese Beobachtung will auch einfach mal rausgelassen werden, denn sie weist auch daraufhin, was Frauen eigentlich wollen. Sie wollen keine Empfindsamkeit, die vor allem in der Erotik zum Zuge kommen würde. Auf das verzichten sie gerne, wenn sie einen imposanten Mann bekommen, der sozial möglichst gut eingebettet ist.
Das alles zu teilen tut gut. Hier ist schließlich auch die Befreiung. Das Was-könnten-die-anderen-von-einem-denken über Bord werfen. Natürliche auch Konsequenzen im mitmenschlichen Bereich riskieren. Da führt kein Weg drumherum. Mike Hellwig nannte das mal: Mr. Nice Guy hört dann auf. Auch heißt es ja, Frauen stehen ja nicht so auf Nice Guys. Ich bezweifle aber, ob sie auf diese Art von Nicht-Nice Guy-sein stehen.
Damit belasse ich es mal für heute.