Aus dem Buch "Auf der Suche nach dem Wunderbaren" von Peter D. Ouspensky kam mir heute der Begriff "Objektive Kunst" in den Sinn, als ich auf der Heimfahrt das Klavierkonzert Nr. 7, BWV 1058, Teil II. Andante von Johann Sebastian Bach angehört habe, gespielt von Murray Perahia und der "Academy of St. Martin in the Fields". Ich parkte das Auto, hörte mir das Stück aber noch in Ruhe zu Ende an.
Mir ist aufgefallen: Seitdem ich die Kompositionen von Bach höre, muß sich jede andere Musik, die ich noch höre, daran messen. Auch wenn ich mit außergewöhnlichen Menschen zu tun habe: Jeder Mensch mit dem ich sonst zu tun habe, muß sich an ihm messen. Daran ist nichts grausam, und damit ist nicht ein Vergleichen gemeint, sondern inwieweit schafft es ein Mensch, ein Musiker (ein Maler, ein Bäcker, ein Bergsteiger, ein Astronaut) an diese vorgelebte Qualität heranzukommen. Es gilt sie nicht zu imitieren, sondern sich ihr auf seine Weise, in seinem Naturell, in seiner Disziplin anzunähern.
Bach ist deshalb so außergewöhnlich, weil er in seine Musik keine persönlichen Gemütslagen eingeflochten hat. Es ist reine, dichte Melodie, einfach um des Spielens willen. Keine Gefühlsdramen, nichts Aufgebauschtes, ohne Imponieren, sondern nüchterne, klare Sequenzen, fast schon so unschuldig wie ein Neugeborenes, alles ganz frisch und unaufdringlich, und dabei gleichzeitig mit einer schicksalhaften Wirkung.
Ich fühlte mich vorher etwas leer, war müde und uninspiriert. Die Musik wirkte wieder sinnstiftend. Alles rückte sich ins Lot, alles fügte sich, wie es sein sollte. Alles, was ich bisher tat, und alles, was kommen mag, auch wenn ich hier einfach im Wagen sitze, und auch wenn ich gleich einfach nur den Bürgersteig in meine Wohnung gehe, es wird nicht perfekter. Die göttliche Dimension, die Bach immer in seinen Stücken aufleben läßt, ist immer auch hier in meinem Leben im Hintergrund aktiv, läßt mich nie fallen, auch wenn ich meine, völlig am Boden zu liegen. Dieses Gefühl hat er in seine Musik gelegt, dieses Tiefenvertrauen, und genau das überträgt sich beim Hören identisch auf mich, auch wenn bereits etwa dreihundert Jahre zwischen uns liegen. Genau das ist objektive Kunst.