Gestern lag im Briefkasten eine Jugendzeitschrift meiner Krankenkasse, "On". Ab und an schicken sie mir ein Exemplar zu. Interessant fand ich dabei einen Artikel über Selbstwertgefühl. "Dein Körper ist okay! Be yourself!" Es werden dabei Tips gegeben, wie man sich wieder mehr akzeptiert, mehr liebt. Auch zu akzeptieren, daß man Teile des Körpers blöd findet. Das richtet sich vor allem an junge Mädchen, die sich entweder als zu dick oder zu mager empfinden.
Jedenfalls konnte ich mich da gut wiederfinden, weil ich genauso diese Zweifel kenne. Ich kenne diesen Ekel, dachte immer an mir arbeiten zu müssen, Muskelmasse aufzubauen, um stärker zu wirken, männlicher zu wirken. Im Kern genau die gleichen abwertenden Bewertungen, denen man sich da unterwirft.
In solchen Einflüssen kann man dann Trost oder Bestätigung finden. Früher gab es da noch diesen Dr. Sommer im Bravo-Magazin, der verschiedene Anregungen gab. Mit 15, 16 ist es gar nicht unwichtig etwas zu finden, was einem Verständnis zukommen läßt, besonders wenn man sieht, daß die Leute um einen herum diese Zweifel gar nicht kennen, und einen sogar auslachen, wenn man sich anvertraut.
Heute sehe ich das jedoch anders. Es reicht nicht nur neue Gedanken von Selbstliebe und Akzeptanz über bisherige Glaubensmuster zu bilden, denn die Zweifel verschwinden damit nicht. Der Verstand ist weiterhin programmiert, sei es durch Eltern (mein Vater war da z. B. sehr unsensibel), durch Kameraden (mit denen man sich vergleicht, die auch gerne sticheln) oder durch Medien (die in ihren Werbungen Menschen zeigen, die es so gar nicht gibt). Und ist diese Software einmal installiert, arbeitet sie weiter.
Ich konnte das z. B. selber letztens in der Sauna merken: Ein Typ, der durchtrainiert, mit vielen Muskeln auftrat, löst in mir durchaus Neid aus. Es ist nun nicht schlimm, aber es war da, eindeutig. Das kann ich nicht einfach auflösen, aber zum Glück merke ich mittlerweile, wenn solche Gedanken auftreten.
Was man dabei aber nicht sieht: Er mußte dafür hart trainieren. Und zwar regelmäßig. Er muß ins Fitneßstudio gehen, Gewichte stemmen, während andere lieber auf der Couch liegen.
Worauf ich hinaus will: Selbstwertgefühl entsteht anders. Es kann nur von innen her kommen. Wenn du zu dick bist, dich ungesund ernährst, reicht es eben nicht nur zu denken: Ich bin Ok so wie ich bin, so wie es Ratgeber dir mitteilen. Man merkt ja auch, daß es einem zwar Trost spendet, aber letztlich nicht wirklich hilft. Damit machst du dir was vor. Wahre Selbstliebe ist, wenn du dein Gewissen am Pochen hast, was dich dazu treibt etwas zu ändern. Und erst wenn du dem wieder einen Raum gibst, bist du wieder im Reinen.
Was aber auch klar ist und ebenso wahr ist: Auch ohne "Leistung" ist da ein Wert in jedem Wesen. Man schaue sich doch einfach ein Neugeborenes an. Alleine, daß da etwas Lebendiges ist, was atmet, schaut, spürt, ist schon ein Wunder. Die Zweifel kommen erst von außen. Es wird in die Welt gestoßen, und von nun an werden diesem Wesen Ideale vorgezeigt, Ansprüche gestellt. Und von diesem außen soll also jetzt die Lösung kommen? Das funktioniert nicht.
Was ich aber mit "innen" meine, ist nicht die Psyche, auch nichts im Körper. Das Gewissen sind keine neue Gedanken, sondern - wie das Wort schon sagt - ist es ein Wissen, vor jedem Begriff der formuliert wird. Und das wirkt dann so, als würde es von "innen" kommen.
Das Leisten ist dann meiner Beobachtung nach dann ein freudiger Akt. Nichts Aufgezwungenes. Du machst es auch nicht für die Gesellschaft, oder um anderen etwas zu beweisen.
Was haben z. B. Abenteurer, Leute, die Expeditionen machen, Extremsportler? Die machen ihr Ding, geben Gas in ihrer Disziplin, und in dem Moment wissen sie, daß sie am richtigen Platz sind. Da kommen keine Selbstzweifel mehr auf. Ihnen ist auch egal, was andere dann über sie meinen, weil sie wissen, daß die anderen nicht an dem Punkt sind zu verstehen, was sie da treiben.
Als Mensch ist auch klar, daß wir Dinge tun wollen. Wir sind eben keine Rehe oder Waschbären, die einfach nur Futter und Wärme brauchen, sondern da sind noch andere Impulse und Möglichkeiten vorhanden. Die fügen zwar nichts dem angeborenen Wert zu, sind aber doch auch notwendig um ein wirklich erfülltes Leben zu leben. Als Mensch mit Händen, Füßen, mit Denkapparat, Sprache und verschiedenen Gefühlsdimensionen sind einem eben Werkzeuge an die Hand gelegt, die Artikulation verlangen.
Der eigentliche Punkt ist aber folgender: Ich bin nicht mein Körper. Der Körper ist ein Instrument. Ist es verstimmt, dann muß es gestimmt werden, damit ein schöner Ton rauskommen kann. Wunderschöne Melodien sind damit möglich. Es ist ein Geschenk, was gepflegt werden sollte. Aber solange es funktioniert, ist alles Ok. Es muß nicht ausstaffiert werden, muß keine Besonderheiten aufweisen. Wichtig ist, ob es die Lieder spielt, die es spielen möchte. Das ist der Wert. Der Körper selber ist nur Mittel zum Zweck. Was soll man sich also damit noch stundenlang beschäftigen, mit ihm hadern, ihn verbessern? Wahrer Wert kommt nicht von ihm, sondern durch ihn durch.