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Über Landshut zu Liebe


Heute war ich in Landshut. Erst auf der Burg Trausnitz, später dann noch in der Altstadt, z. B. auch beim Christkindlmarkt. Bitterkalt war es, habe mich aber warm angezogen mit Schal, Mütze, langer Unterhose. Was noch hilft: Die Gebäude dieser Stadt strahlen sehr viel Wärme aus. Sehr eindrucksvoll sind sie liebevoll erbaut, restauriert und in Schuß gehalten. Es gibt kaum schönere Orte mit der gleichen Dimension hier in der Gegend.

Die Stadt ist meinem subjektiven Eindruck auch noch nicht so übervölkert mit verschiedenen Ethnien wie z. B. München. Das entspannt. Außerdem wirken die Menschen nicht so gehetzt und gestreßt. Gut, es war Samstag, da ist jeder etwas ruhiger, muß nicht arbeiten, geht einkaufen, essen, spazieren. Aber dennoch.

Jedenfalls machte ich dort einen langen Spaziergang. Das letzte Mal so ausführlich war ich als Junge in der Stadt. Damals machte ich mit meiner 5. Klasse der Realschule eine mehrtägige Klassenfahrt nach Landshut. Wir schliefen in einer Jugendherberge unweit der Burg. Für mich war das damals der erste längere Ausflug ohne Familie und Bekannte. Nur die Klassenkameraden und Lehrer waren mit dabei.

In der Phase hatte ich es jedoch ziemlich schwer. Es waren meine ersten Monate an einer neuen Schule, in einer Klasse, wo ich anfangs niemanden kannte, weil alle Bekannten aus der Grundschule entweder auf's Gymnasium oder auf die Hauptschule gingen. So war ich bereits am Anfang doch sehr unsicher und auf mich gestellt.

Mit der Zeit freundete ich mich jedoch mit meinem Sitznachbarn an, der lange Zeit mit der Einzige war, zu dem ich guten Kontakt gepflegt habe. Erst nach und nach lernte ich noch ein paar Leute kennen, die auch in meiner Stadt gelebt haben. Das kam aber alles erst langsam, taute erst so richtig in der 6. Klasse auf. Die meiste Zeit über klammerte ich mich deswegen auch ein wenig an diesen einen Kumpanen, weil ich es sonst als schwer empfand, alleine auf andere in der Klasse zuzugehen. Meine Bedürftigkeit nervte ihn, das wußte ich.

In meiner Klasse, waren nämlich auch viele Kinder aus dem Umland, die stärker im Dialekt sprachen und eine Wesensart hatten, die ich aus der Grundschule nicht so kannte. Da, wo ich aufwuchs, in Waldkraiburg, waren nämlich viele Aussiedler- und Migrantenkinder bereits die Mehrheit in den Klassen. Vor allem natürlich russlanddeutsche Aussiedlerkinder, die natürlich kein Bayerisch sprachen. Das war die Umgebung, die für mich bis dahin üblich war.

An der anderen Schule war das dann jedenfalls anders. Da waren dann plötzlich viele Bayern. Und zu denen fand ich eher schlechter einen Draht. Wobei ich ihre Art überhaupt nicht unangenehm empfand, und weiterhin auch sehr gerne hier lebe. Aber das möchte ich jetzt nicht ausschweifen. Mir sind nur einige Erinnerungen wieder hochgekommen, nachdem ich mal wieder dort war, wo wir damals mehr miteinander zu tun hatten.

Eine Geschichte dazu, die mir noch hochkommt: Ich wurde auf dem Ausflug nämlich in einen Raum mit all diesen Jungs gesteckt, zu denen ich fast ein ganzes Schuljahr keine wirkliche Verbindung hatte. Ich würde nicht sagen, daß ich gemobbt oder mißachtet wurde, aber es war auch nicht so, daß ich mich damals sehr wohl gefühlt hätte. Auf den Grund komme ich nämlich jetzt zu sprechen.

So isoliert und verschüchtert diese Zeit für mich war, so sehr habe ich mich damals in ein Mädchen aus der Klasse verliebt. So weit ich mich erinnere, habe ich aber nie wirklich ein Wort mit ihr ausgetauscht. Dennoch wurde ich immer rot, wenn sie in meiner Nähe war. Aber ich hatte gleichzeitig auch regelrecht Todesangst sie direkt anzuschauen. Fast das ganze Jahr war von diesen Gefühlen geprägt.

Jedenfalls besprachen eines Abends, als alle bereits in ihren Betten im Herbergszimmer lagen, welche Mädchen aus der Klasse sie am Interessantesten fanden. Jeder gab ein Statement ab. Sieben Jungs gaben ihre Meinung ab, also gab ich mir einen Ruck und gab auch zu, daß ich in M. verliebt war. Es war ja echt. Es tat mir gut das zu bekennen, war das sonst etwas, was ich nur für mich behielt.

Eine Reaktion kam jedenfalls von einem Jungen, der sagte, ich würde jetzt anscheinend B., einem anderen Jungen, Konkurrenz machen, der vorher genauso meinte, M. interessant zu finden. Ich habe die Situation nicht mehr ganz im Kopf, auch nicht, ob ich da wirklich ernst genommen wurde. Diese ganzen Reaktionen und Echos sind auch völlig egal. Es war gut, daß es raus war.

Jedenfalls war dieses intensive Gefühl etwas, was mich immer zutiefst verunsichert hat. Die anderen Jungs kannten das nicht, das wußte ich. Die erzählten nur oberflächlich, welches Mädchen für sie sympathisch war. Aber das durchzog nicht ihr Sein. Mit dieser Empfindung kannst du nämlich gar nicht mehr über Konkurrenz nachdenken. Das gibt es dann nicht mehr. Du ertrinkst einfach nur.

Was mir jetzt kommt: Auf den wirklich Liebenden werden die meisten Menschen immer nur herabschauen. Weil er schwach wirkt, nicht sicher, weil er schwankt, nicht stabil ist. Er ist ausgeliefert, kann nicht mehr manövrieren. Und das löst in allen anderen, die damit zu tun haben, genau dasselbe aus. Ein Vibrieren unter der Haut, in der Brust. Und das macht Angst, und natürlich müssen sie sich dagegen wehren.

Das in der Jugendherberge war aber vergleichsweise harmlos. In der angesprochenen Grundschule habe ich nämlich zum ersten Mal erfahren, was das konkret bedeutet - mit allen Auswirkungen. Ich war da 9, 10 Jahre alt. Auch da war eine Klassenkameradin, die etwas in mir auslöste, was kaum zu ertragen war. Das nach außen zu kommunizieren wäre aber unglaublich peinlich gewesen, das wußte ich genau. Das würde sich bitter rächen.

Zum Schuljahresanfang der 4. Klasse ging ich mit einem Klassenkameraden auf dem Heimweg. Er zog mich damit auf, ich würde ein bestimmtes Mädchen lieben. Es war aber nicht die, die wirklich diese Gefühle in mir auslöste. Also schrie ich den Jungen an, daß ich C. liebte, sie und nur sie! Auch das war befreiend, das einfach frontal zu bekennen. Er erschrak sichtlich, merkte sich das aber.

Denn was sich fast das komplette kommende Schuljahr vollzog, war der pure Horror. Es fing nun nicht nur er, sondern fast alle Jungs der Klasse, an, mich damit aufzuziehen, über mich zu singen, mich zu verspotten. Da waren also nicht nur die Gefühle, die total aufwühlend waren, sondern dann auch noch zusätzlich die ganzen hohlen Vollidioten, die darauf reagierten. Und es gab keinen Ausweg. Früh morgens wieder in die Schule zu müssen, zu wissen, was einen wieder erwartet. Wer diese Erfahrung kennt, der weiß was ich meine.

Heute weiß ich, daß mir diese harten Erfahrungen einen Schlüssel gegeben haben, der mich genau unterscheiden läßt zwischen Werthaltigkeit und Fake. Diese ganzen Trottel sind Fake, und sie werden ihr ganzes Leben lang traurige, oberflächliche Säcke bleiben. Sie wissen und werden nie erfahren, was es heißt, etwas wirklich zu lieben. Und sich darin aufzulösen, weil diese Liebe keinen Platz mehr für etwas läßt, was keine Liebe ist.

Als Mann eine Frau zu lieben, ist so unbeschreiblich tiefgreifend, daß dagegen der Eindruck der Altstadt von Landshut billig wirkt. Nichts auf der Welt kommt dem Nahe. Ohne das ist gleichzeitig auch alles sinnlos, weil alles nur halbherzig geschieht. Die Liebe bringt das Entscheidende ins Leben.

Und weil ich da geliebt habe, konnte ich auch sehen, wo diejenigen stehen, die das belächelt haben. Ab da konnte ich auch sehen, wo das Manko dieser Gesellschaft ist. Ab da kann ich auch genau sehen, wo bei mir das Manko ist: Diese Leute und ihre Meinung überhaupt ernst zu nehmen, mich von ihrer Gunst abhängig zu machen, mich vor ihnen zum Affen zu machen, nur damit ich auch mal mit dabei sein kann. Dort zu versuchen anzukommen, mit abzuhängen, wie ich ja dann später oft versucht habe.

Einfach, weil es zu hart schien alleine zu stehen. Zu schwer einfach bei sich zu bleiben, und alle Kommentare dazu in den Wind zu schießen. Der Fehler war, daß ich ihnen mehr geglaubt habe, als meinem Kompaß.

Da ist durchaus ein Gefühl da, es richtig in vollen Zügen genießen zu würden, es diesen Leuten, selbst wenn sie jetzt scheinbar schon Erwachsen sind, so richtig heimzuzahlen. Es ihnen so richtig zurückzugeben, was für armselige Existenzen sie sind. Wäre das auch Liebe?


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