Nach gestern Abend fühle ich mich ziemlich aufgewühlt. Die vielen Menschen, der Trubel, die vielen Gespräche, die vielen Gerüche und Lichter, das reichhaltige Essen, die schönen Räumlichkeiten, haben mich in gewisser Weise elektrisiert. Das alles habe ich so noch nie erlebt. Besonders auch die Gespräche mit G. waren sehr ungewöhnlich, weil sie einen doch sehr direkt anschaut und im Gegensatz zu den meisten anderen Frauen ehrliches Interesse zeigt.
Ich habe schon oft über Dankbarkeit geschrieben, und das würde auch hier passen, aber das Gefühl wäre mit diesem einfachen Wort nicht komplett erfaßt. Es ist etwas, was ich so lange gesucht habe, in solchen Momenten da ist, und dann als bestimmte Energie in der Körpermitte bleibt.
Das zeigte sich auch in Träumen, als ich in einer Art Museum war (vermutlich weil mir G. von ihrem Nebenjob im Deutschen Museum erzählt hat) und dabei meine Schwester zufällig traf, wir erst aneinander vorbeiliefen, und sie am Ende doch ganz fest umarmt habe. Meine Mutter wollte ich jedoch später dann nicht berühren, fand ihre Annäherungsversuche ekelhaft. Diese einfachen Eindrücke sind schon die Antwort: Fühlt man sich bei etwas wohl oder nicht, fertig ist die Geschichte.
Mit Menschen wie gestern fühlt man sich wohl, z. B. auch im Ambiente dieser Mechanikuhren. Sie strahlen diese solide Wertigkeit aus. Es war erstmal ungewohnt, aber ich habe mich sogleich aufgewertet gefühlt, als so schöne Gewerke an meinem Handgelenk saßen. Ich bin es mir wert, so eine schöne Uhr an meinem Handgelenk sitzen zu haben, so kann man es besser ausdrücken. Ich bin es mir wert, gewisse Dinge in meinem Leben zu haben, weil ich wertvoll bin, und sich das auch zeigen möchte.
Dieses Schöne ist aber die meiste Zeit über verschüttet, vergesse mich selber, z. B. eben auch wie vorgestern bei dem ADAC-Werbemann. Dieses Sich-vertrauen und Sich-würdigen ist dann in alle Winde zerstreut, nichts davon bleibt übrig. Und vergesse ich das, kann nichts in der Welt mir das wieder zurückgeben.
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Einen Tag später:
Vorher ging so einiges mit mir durch. Vor allem durch die Aufenthalte bei der MunichTime mit so viel handwerklicher, wie menschlicher Qualität, hat sich etwas grundlegend bei mir geändert, auf allen Ebenen.
Schon gestern und heute Morgen beim Laufen wirkte alles lebendiger und farbenfroher, auch wenn der Himmel ziemlich grau und trist wirkte, heute alles sogar regnerisch war. Da war einfach eine neue Qualität, die auf eine spezielle Art die Straßenzüge und Bäume zu einem Leuchten brachte. Ich meine, ich laufe hier in der Umgebung schon ein paar Monate, aber so einen Shift hatte ich noch nie.
Was mich noch besonders gerührt hat, war, wie G.-L. am Donnerstag mit G. umgegangen ist, z. B. bei der Verabschiedung. Ich meine, eigentlich ist es das Natürlichste und Menschlichste überhaupt, aber für mich war das alles so bewegend, daß ich das erstmal verarbeiten muß.
Mir kamen jedenfalls vorher minutenlang die Tränen. Es geht mir einfach alles unter die Haut, weil ich jetzt erst langsam mal anfange zu merken, was es heißt, ein Mensch zu sein, zu lieben, dankbar zu sein, das Schöne zu genießen, sich auch nicht zu schade zu sein, sich gut zu kleiden, in hochklassigem Ambiente zu verweilen. Einfach zu merken: Ja, ich bin hier, ich habe das verdient.
Dazu paßt auch ein Traum von letzter Nacht: Meine Mutter und meine Schwester wollen mit einem Wagen wegfahren, in den Urlaub, ich meine auf die Krim, wie wir das einst gemacht haben. Das Auto war gepackt, und wir wollten losfahren. Kurz vor der Abfahrt sagte ich jedoch meiner Mutter ab, ich bleibe da, sie sollen selber fahren. Meine Mutter meinte, sie hätte mit mir gerechnet und wäre enttäuscht. Ich wußte aber, daß es falsch ist mitzufahren, aber auch, daß ich hier alleine bleiben werde. Ein tiefer, innerer Schmerz machte sich breit.
Genau das ist, was in meiner Familie immer gefehlt hat, wenn ich sehe, was eigentlich die Wahrheit ist, wenn ich sehe, was eigentlich möglich ist, dann bricht es mir schier das Herz. Da wurde zwar immer von Liebe gesprochen, aber sie zu leben ist eine ganz andere Hausnummer. Mich zerreißt es innerlich fast, wenn ich sehe, wie diese Menschen mit Fernsehen und Zigaretten abgetreten sind, wie alleine ich da immer gestanden bin, ohne Aussicht auf Verständnis oder Zuneigung. Das muß alles so erst einmal konfrontiert werden, wie ich mich da so gefühlt habe. Ich meine, da verliert man doch jedes Vertrauen in das Leben, in sich, in die Menschheit, etwas, was G. z. B. noch sehr offen und freundlich ausstrahlt.
Man kann sagen, daß ich da regelrecht verkümmert bin, und jetzt erst langsam kapiere, daß ich da selber rauskommen muß. Sowas wie die Munichtime ist für mich eine Art Katalysator gewesen, wo ich sofort handfest sehe, daß es noch etwas anderes gibt, als das stickige, dunkle Loch in dem ich vorher gesessen bin. Es gibt einen ganz konkreten Weg da heraus, und der orientiert sich an Werten, am Gesunden, am Schönen, am Menschlichen. Klar ist natürlich, daß die Gesellschaft nicht nur aus solchen Menschen besteht, aber Blumen blühen in der Wüste auch nur in einigen wenigen Oasen oder Ritzen, die Wasser speichern.